Zwischen Middelhagen und Alt-Reddevitz


Blick vom Schafberg bei Middelhagen
Blick vom Schafberg bei Middelhagen

Die Gegend um Middelhagen herum in Richtung Schafberg, Alt-Reddevitz und Reddevitzer Höft gehört zu den schönsten auf Rügen. Das finde ich jedenfalls. Hübsche Dörfer und platte Ackerflächen wechseln sich ab mit mehr oder weniger sanften Hügeln, umgeben von den Havings, fischreichen Boddengewässern. Naturbelassene Mager- und Feuchtwiesen betören mit einer ungeheuren Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren wie Schmetterlingen, Schnecken, Vögeln und Bienen, Orchideen sowie anderen seltenen Pflanzen. Hecken und Wäldchen vollenden das landschaftliche Mosaik.

Höckerschwan (Cygnus olor) am Schafberg
Höckerschwan (Cygnus olor) am Schafberg

Von den Hügeln, insbesondere vom Schafberg, hat man unvergleichliche Ausblicke auf das Wasser oder die Zickerschen Hügel sowie die schmale Landzunge des Reddevitzer Höfts und hinüber zum Jagdschloss Granitz. Nirgends schimmert das Wasser am frühen Nachmittag derart silbern wie zu Füßen des Schafbergs, der wie der Fliegerberg bei Alt-Reddevitz Naturschutzgebiet ist. Ende Mai leuchten die Hänge dieser beiden Erhebungen in strahlendem Gelb, weil zahllose Ginsterbüsche ihre Blüten entfalten. Gemeinsam mit den weißblütigen, knorrigen Weißdornbüschen bilden sie ein zauberhaftes Panorama. Die herrlichen Aussichten, die vielfältige Flora und Fauna dieser beiden Naturschutzgebiete, das dörfliche Ambiente der Ortschaften treiben mich in jedem Urlaub mehrmals in dieses Gebiet. Zumal die Wege in verschiedenste Richtungen führen und sich ein Ausflug dorthin immer lohnt. Egal, ob man viel Zeit hat oder wenig.  Wenn man von Lobbe über den Deich nach Middelhagen und von dort den kürzesten Weg auf den Schafberg nimmt, ist man gerade mal eine Stunde unterwegs.

Bluthänfling (Carduelis cannabina), Middelhagen
Bluthänfling (Carduelis cannabina), Middelhagen

Schaf- und Fliegerberg sind ein Eldorado für Vogelfreunde. Je nach Jahreszeit können neben Grau- und Goldammer, Feldlerchen, Karmingimpel, Bluthänfling und Mönchsgrasmücke auch Greifvögel wie Mäusebussard, Habicht oder Turmfalke bei ihren eindrucksvollen Balzflügen oder bei der Jagd beobachtet werden. Jetzt im Herbst ziehen normaler Weise Scharen von Kranichen und Gänsen gen Süden und erfüllen die Luft mit ihren Rufen. Diesmal ist dem nicht so. Der Zug dieser grandiosen Vögel ist aufgrund der sommerlichen Witterung noch nicht so richtig im Gange. Immerhin verbringen hunderte verschiedener Enten den Tag auf den Havinggewässern. Gemeinsam mit Hauben-, Rothals- und Schwarzhalstauchern suchen sie nach Nahrung. Graureiher stehen reglos im Wasser und halten nach kleinen Fischen Ausschau, während die eleganten Höckerschwäne sich gemächlich vorbeitreiben lassen. Zwei Seeadler kreisen hoch am Himmel - der Anblick dieser stattlichen, seltenen Greife ist ein besonderes Erlebnis. An den von Ginsterbüschen stellenweise fast vollständig bedeckten Hängen des Fliegerberges lassen sich Feldhasen und Rehe beobachten, wenn man sich eine Weile still verhält. Im Frühling sind die Langohren meist derart im Liebesrausch, dass sie unsereins gar nicht wahrnehmen. Verrückt, wie sie sich dann gegenseitig jagen und die berühmten "Boxkämpfe" austragen, die jedoch nichts mit Gewalt zu tun haben, sondern Teil des Feldhasenliebesspiels sind.

Rotbuche (Fagus sylvatica) am Herzogsgrab
Rotbuche (Fagus sylvatica) am Herzogsgrab

Unmittelbar hinter dem Fliegerberg beginnt die Waldfläche der Baaber Heide, ebenfalls ein Naturschutzgebiet, durch welches unterschiedliche Wanderwege bis nach Göhren oder Baabe führen. Geht man den Weg ein Stück geradeaus, steht man nach wenigen Minuten vor dem "Herzogsgrab". Einem ca. 4000 Jahre alten Großsteingrab aus der Jungsteinzeit. Unmittelbar neben dem Grab lebt eine beeindruckende, alte Rotbuche, die eine Menge zu erzählen hätte, wenn sie denn könnte. Umgeben von lauschigem Wald und den Hügeln eines fossilen Meeresufers, dem Litorinakliff, bietet sich ein fast mystisches Bild und unsere Füße stehen an einer Stelle, an der vor ca. 6000 Jahren die Ostseewellen an ein Steilufer schlugen. In den Monaten April und Mai bedecken hier unzählige Blüten den Boden - Scharbockskraut, Gelbe und Weiße Buschwindröschen, Lungenkraut, Wald-Veilchen und an feuchten Stellen sogar Sumpfdotterblumen. Wenn es viel geregnet hat, verzieren verschiedenste Pilzgestalten das Totholz und den Boden im Herbst. Davon kann in diesem Jahr aufgrund der anhaltenden Trockenheit jedoch keine Rede sein. Bis auf einen einsamen Steinpilz am Fuß der alten Buche, der auf wundersame Weise bisher allen Pilzkörben entgangen ist, ist kein Pilz zu entdecken.

 

Entscheidet man sich am Fuße des Fliegerberges für die entgegengesetzte Richtung, gelangt man durch den Ort Alt-Reddevitz auf die schmale Landzuge des Reddevitzer Höfts, die man in Gänze erwandern kann, begleitet von herrlichen Aussichten in alle Richtungen und vorbei an einsamen, wunderschönen Höfen. Den Weg verfehlen kann man nicht, denn es gibt nur einen einzigen. Am Ende steht man an einem Steilufer, welches für Fossilienfreunde so manchen Fund bereithält. Alle anderen erhalten als Lohn für ihren weiten Weg Ausblicke nach Groß Zicker, Neu-Reddevitz und auf die Insel Vilm.

Im Naturschutzgebiet "Fliegerberg"
Im Naturschutzgebiet "Fliegerberg"

Wer einen weiten Fußmarsch scheut (Fahrräder sind erlaubt), denn immerhin sind es gute 5 km bis zum Steilufer, kann ca. 500 m nach dem Ortsende von Alt-Reddevitz zur Hofbrennerei abbiegen, sich dort stärken und dann einen Abstecher zum Strand machen. Hier sei gesagt, dass es sich dabei nicht um einen Sandstrand, sondern um einen schmalen Geröllstrand handelt. Für einen Badeausflug eignet er sich also nicht und bei strammem Westwind steht das Wasser so hoch, dass man nicht am Ufer entlang kommt. Empfehlenswert ist jedoch der Besuch der kleinen, aber feinen Hofbrennerei. Wer sehr gute Obstbrände oder Kräuterschnäpse mag oder auf der Suche nach einem außergewöhnlichen Mitbringsel von der Insel ist, wird hier mit Sicherheit fündig. Stattet man der Hofbrennerei gegen 16.00 Uhr einen Besuch ab, kann man mit etwas Glück an einer der Führungen und Verkostungen teilnehmen. Zwar kann man in der Hofbrennerei nicht wirklich essen im Sinne vollständiger Gerichte, aber für den kleinen Hunger gibt es Kuchen oder selbst gebackenes Brot mit Schmalz.

Blick zum Reddevitzer Höft
Blick zum Reddevitzer Höft

Für die Befriedigung aller anderen kulinarischen Gelüste gibt es zwischen Middelhagen und Alt-Reddevitz verschiedenste Alternativen. Meine Favoriten sind der Gasthof "Die Linde" in Middelhagen sowie das "Pokenstuw" und das Restaurant "Am Wasser" in Alt-Reddevitz. Während "Die Linde" als ältester Gasthof Rügens mit einem absolut sehenswerten, uralten Ambiente und einer Speisekarte für jeden Geschmack aufwartet, gibt es im "Pokenstuw" leckere, selbst hergestellte Kuchen und deftige Fischbrötchen. Wer auf saisonale und regionale Küche steht, sollte es nicht versäumen, einen Tisch im Restaurant "Am Wasser" zu reservieren. Ja, genau, zu reservieren. Auch wenn das Lokal von der Straße her wenig einladend  und der Gastraum sehr spartanisch wirkt - die Küche ist hervorragend und auf der Terrasse unmittelbar am Bodden lässt es sich wunderbar sitzen.  Entsprechend gut ist es besucht.

 

Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass das gesamte Gebiet für Fotografen ein absolutes Highlight ist. Aufgrund der vielen erhöhten Punkte kommt man in den Genuss ständig wechselnder Perspektiven und Lichtspiele. Egal, ob bei gutem oder schlechtem Wetter. Die hier entstehenden Panoramen suchen ihresgleichen. Es ist eine Landschaft mit einem ganz besonderen, eigenen Zauber. Den Rückweg nach Lobbe sollte man im Herbst übrigens so planen, dass man zum Sonnenuntergang die Mitte des Deiches erreicht. Denn dann kann man als Abschluss des Tages zusehen, wie die Sonne hinter dem Reddevitzer Höft untergeht ...