Wanderung von Lobbe über Thiessow nach Klein Zicker und zurück


Eine meiner Lieblingswanderungen ist die von Lobbe nach Klein Zicker und zurück, für die ich einen ganzen Tag einplane. Die Kurzform sieht folgender Maßen aus (Variationen sind möglich und werden am Ende des Textes genannt):

  • Lobbe, Göhrener Weg, Strandzugang bei den beiden uralten Weiden am Straßenrand
  • Strandcafé in Thiessow, dann über den Lotsenberg nach
  • Klein Zicker
  • von Klein Zicker über die Salzwiesen zum Hafen von Thiessow
  • am Strand oder im Küstenschutzwald über den Fahrradweg zurück nach Lobbe

Ich starte also am Göhrener Weg in Lobbe an den Strand, und zwar dort, wo zwei mächtige Weiden seit Jahrhunderten Wetter und Wind trotzen und inzwischen zu artenreichen Minibiotopen geworden sind. Mit unterschiedlichsten Pflanzen bewachsen, knorrig und teilweise hohl bieten sie Insekten Unterschlupf oder dienen als Nistplatz für Vögel.  Am Strand blicke ich links auf den Lobber Ort und rechts auf die gut 4 Kilometer lange Flachstrandbucht zwischen Lobbe und Thiessow, an deren Ende der Thiessower Lotsenberg aus der Ferne grüßt. Zunächst heißt es, den Strand entlang zu marschieren. Na ja, marschieren ist in meinem Fall übertrieben. Gemächliches Wandern passt schon eher, und zwar nicht weil ich schlecht zu Fuß bin, sondern weil am Strand einfach immer irgendetwas bestaunt werden will. Je nach Tages-, Jahreszeit und Wetterlage zeigen sich zum Beispiel diverse Vögel: Auf den Sandbänken in Ufernähe sitzen Möwen in der Sonne und putzen sich ihr Gefieder. Oder sie streiten sich am Spülsaum in den Seegras- und Muschelhaufen mit den schwarz-grau gefiederten Strandganoven, auch Nebelkrähe genannt, um die leckersten Happen.

Die allseits bekannten Lachmöwen, die einem gemeinhin durch ihre lauten Schreie und dadurch auffallen, dass sie sich gern füttern lassen, sind übrigens äußerst geschickte Jäger. Selbst bei stärkstem Wind halten sie sich dicht über die Wasseroberfläche und halten nach kleinen Fischen und anderem Getier Ausschau. Ist die Beute entdeckt, schießen sie wie eine Rakete mit angelegten Flügeln ins Wasser, um einen Augenblick später mit einem Fischlein im Schnabel wieder aufzutauchen. Vor allem  Ende September/Anfang Oktober machen schlanke Flugkünstler laut zeternd auf sich aufmerksam, die in rasanter Geschwindigkeit von Sandbank zu Sandbank ziehen: Brandseeschwalben. Vögel, die meinereine nicht alle Tage zu Gesicht bekommt. Ab und zu lassen sich die schnittigen Flieger sich zusammen mit den Möwen auf einer Sandbank nieder - eine gute Gelegenheit für ein Foto. Der Herbst hält am Strand auch noch ein anderes Schauspiel bereit: Millionen kleiner, gelber Pappelsamen werden vom Wind an den Strand getrieben und setzen sich auf den von Wind und Wasser geschaffenen Sandrippeln ab.  Im Sonnenlicht schimmert der Strand, als sei er mit Goldstaub überzogen worden. Wunderschön. Wo sich am Spülsaum Muscheln, Holzstückchen und Federn zusammengefunden haben, lohnt es sich, nach Bernstein Ausschau zu halten. Vor allem in jenen Monaten, in denen das Wasser noch kalt ist und nachdem kräftiger Ost-/Nordost-Sturm alles gut umgerührt hat. Die Stürme werfen auch mehr oder weniger bunte Steine mit Seepocken an den Strand und bilden mit Herz, Sandklaff- und Miesmuscheln oder Seetang und Seegras interessante Arrangements, die in Ruhe betrachtet werden wollen. Dazu das Meer, der Wind, die Luft. Herrlich.

Je nachdem, was sich am Strand so tut und zeigt, brauche ich 1 1/2 bis 2 Stunden, um das Ende der Bucht am Fuß des Thiessower Lotsenbergs zu erreichen. Bevor ich mich das Besteigen desselben mache, winkt allerdings noch eine Pause im Strandcafé. Unmittelbar an der Düne gelegen, mit freiem Blick auf die Ostsee lässt es sich bestens ausruhen. Das Strandcafé öffnet um 11.30 Uhr, schließt um 20.00 Uhr und montags ist Ruhetag. Es ist eine meiner beliebtesten Lokalitäten auf dem Mönchgut. Die deftige, aber dennoch frische Küche, die leckeren Kuchen und Eisbecher und nicht zuletzt die schöne Lage ziehen jedoch nicht nur mich, sondern auch jede Menge anderer Menschen an. Wer vorhat, pünktlich um 12.00 Uhr dort zu Mittag zu essen oder um 18.00 Uhr sein Abendbrot einzunehmen, dem sei eine rechtzeitige Reservierung dringend angeraten. Anderenfalls wird das garantiert nichts. Mein Lieblingsessen im Strandcafé ist der gebratene Dorsch mit Dillsoße. Es ist der beste Dorsch auf dem Mönchgut, finde ich jedenfalls. Und auch an allen übrigen Gerichten oder Getränken hatte ich in all den Jahren noch nie etwas auszusetzen. Denjenigen, die stets möglichst schnell bedient werden wollen, sei noch gesagt, dass man bei vollem Haus etwas Geduld mitbringen muss. Aber das Warten lohnt sich. Anschließend lauf ich vom Restaurant aus ein Stück in Richtung Ort. Nach ca. 100 Metern biegt links der Straße der Weg ab, der auf den Lotsenberg hinaufführt. Im Frühling wimmelt es am Hang des Lotsenberges nur so von farbenfrohen Blumen: Scharbockskraut, Hohler Lerchensporn in weiß und violett, Weiße und Gelbe Buschwindröschen. Hier und da wächst sogar der Scheiden-Goldstern, ein zierliches, gelbblühendes und seltenes Pflänzchen.

Oben am Turm winken dem Wanderer herrlichste Aussichten. Links blickt man über die gesamte Bucht zwischen Lobbe und Thiessow. Also auf den Weg, den man bereits zurückgelegt hat. Schaut man an der seeabgewandten Seite am Turm vorbei, sieht man das Tagesziel Klein Zicker - ein paar Häuser, die auf einer gelben Steilküste thronen. Umgeben von Wiesen, Hügeln und Wassern mit den Zickerschen Bergen im Hintergrund - ein wunderbares Panorama. Wer mag, kann den Rundumblick noch steigern, indem er den Turm besteigt. Letztendlich muss man dem Weg am Turm vorbei folgen. Rechts liegt der Thiessower Friedhof, links der Berghang mit einer vielfältigen Gehölzflora und Pflanzen wie dem Knöllchen-Steinbrech und dem Salomonsiegel. Die Bäume und Sträucher am Hang sind Brutgebiet verschiedener Vogelarten:  Karmingimpel, Mönchs- und Klappergrasmücken, Blau- und Kohlmeisen, Drossel und Singdrossel, um nur einige zu nennen. Vogelfreunde sollten also unbedingt Augen und Ohren aufmachen. Es dauert nicht lange, bis ein weiterer Aussichtspunkt mit kostenpflichtigem Fernglas zur Seeseite hin und kostenlosen Ausblicken in Richtung Klein Zicker erreicht wird. Dann geht es an einer Kleingartenanlage vorbei bergab. Unten angekommen begebe ich mich an den Strand und folge der Uferlinie bis ich gezwungen bin, mich auf einen geteerten Deichweg zu begeben, der quasi parallel zur Küstenlinie verläuft. Begleitet wird dieser Weg mit dem Blick aufs Wasser, wo kleine Fischerboote im Wasser schaukeln, auf denen Kormorane ihre weit ausgebreiteten Flügel trocknen lassen. Bei stürmischen Wetter sieht und hört man schon von Weitem die Segel von Kitesurfern in der kleinen Bucht zwischen Thiessow und Klein Zicker. Beobachtet von Schaulustigen vollführen sie ihre waghalsigen Manöver, denen auch ich im Vorbeigehen ein paar Blicke widme. Für mich wäre das nix, aber jut.

Kurz vor der Bucht der Kitesurfer biegt der geteerte Deichweg rechts ab. Wer nach Klein Zicker und nicht an der Straße entlang laufen möchte, muss hier an den Strand hinunter gehen. Das Ziel, Klein Zicker, kann übrigens keinesfalls verfehlt werden, da es einem nun ununterbrochen vor Augen steht. Botanisch interessiere Menschen sollten den Strandabschnitt bis Klein Zicker aufmerksam passieren, denn hier finden sich einige typische Ostseepflanzen: Europäischer Meersenf, Strand-Beifuß mit beeindruckenden dicken, verholzten Stämmchen, Salzmiere, Strand-Platterbse oder Sommerwurzen in der angrenzenden Wiese. Für Vogelfreunde bietet sich insbesondere in Vogelzugzeiten die Gelegenheit, verschiedene Limikolen, zum Beispiel Alpenstrandläufer, bei der Nahrungssuche zu beobachten. Wenn man am Imbiss in Klein Zicker ankommt, kann man sich für einen Rundgang um die Steilküste oder das Durchqueren des sehr kleinen Ortes entscheiden. Ich laufe immer um die Steilküste bis zur Metalltreppe herum, vorausgesetzt der Wasserstand lässt dies zu und meinem Besuch sind nicht mehrere Regentage vorausgegangen. Der Aufenthalt am Fuß einer völlig durchnässten und dadurch möglicher Weise instabilen Steilküste kommt für mich nicht in Frage. Obwohl sie nicht besonders hoch ist, ist diese Steilküste aus  Geschiebemergel mit diversen Steinen aller Größen, Formen und Farben darin und davor ein beeindruckendes Zeugnis der letzten Eiszeit, die nahezu die gesamte Insel geprägt hat. An sonnigen Tagen leuchtet sie intensiv gelb, fast wie angemalt. Die vielen Steine sind ein wahres El Dorado für Fossilien- und Gesteinsfreunde. Ich bin unheimlich gern an diesem Ort und liebe es, eine Weile in der Sonne auf einem Stein zu sitzen und meine Gedanken schweifen zu lassen oder die Steine genauer unter die Lupe zu nehmen, auch wenn das Gefundene nicht immer den Weg in meine Sammlung findet. Wenn man bedenkt, dass all diese Steine von Eismassen aus Norwegen oder Schweden beispielsweise an die Küste von Klein Zicker gelangt sind - schon das allein ist doch mehr als flüchtigen Blick wert. Ich mag es sowieso nicht, ununterbrochen zu laufen und verweile stets zwischendurch an Plätzen, die ich besonders mag oder einladend wirken, beobachte die Natur um mich herum, den Himmel, die Wolken. Dass man dafür Zeit hat im Urlaub, das ist doch das wirklich Schöne. Und purer Luxus.

Das Höft bei Klein Zicker ist jedoch mehr als Ostsee, Steine und Fossilien.  Es ist auch Lebensraum für viele Arten von Wildbienen und -wespen, Schmetterlingen und Vögeln. Darunter befinden sich Arten, die Experten geradezu in Entzücken versetzen, zum Beispiel die Gemeine Schornsteinwespe, die seltsam anmutende Eingangsröhren für ihre Nistlöcher baut. Oder die Schwarze Pelzbiene, die hier ihr einziges Vorkommen in Deutschland hat. Zwischen den Nistlöchern lauern Goldwespen darauf, in die Larven der Schornsteinwespe ihre Eier abzulegen, diese also als Nahrung für den eigenen Nachwuchs zu parasitieren. Verschiedene Spinnen haben sich auf die Jagd nach den Bienen und Wespen verlegt und warten reglos auf die Gelegenheit zum Überfall auf ein unvorsichtiges Insekt. Bei genauem Hinschauen zeigt sich an Steilwand eine komplexe, unheimlich interessante Welt. Und wenn Gemeine Bocksdorn am Höft in den Herbstmonaten seine kleine lilafarbenen Blüten öffnet, saugen Taubenschwänzchen, Distelfalter und Admirale an ihnen Nektar. An einigen Stellen nisten Uferschwalben. Insbesondere in den Vogelzugzeiten tummeln sich oftmals Limikolen am Spülsaum, um sich für ihre lange Reise zu stärken. Wer sich Zeit nimmt, kann am Höft von Klein Zicker ungeahnte Entdeckungen machen. Ein besonderes Erlebnis sind für mich außerdem die Holzbirnen, die in der Steilküste ein hartes Leben führen. Im Frühling verzaubern sie die Steilwand mit ihrem weißen Blütenflor, im Herbst leuchtet das rote Laub weithin sichtbar. Übrigens: Sollte jemand angesichts ihrer kleinen, gelben Früchte kulinarische Genüsse vermuten, so sei gesagt, dass die Früchte diesen keinesfalls zu bieten haben. Holzbirnen schmecken nicht, verschaffen einem aber einen hervorragenden Pelz auf den Zähnen. Und sie werden nicht umsonst "Holzbirnen" genannt, sind also ziemlich feste Burschen. Wer Lust auf schmackhafte Birnen verspürt, sollte daher tunlichst auf ihre Verwandten, unsere Kulturbirnen zurückgreifen.

Irgendwann komme ich schließlich an einer Metalltreppe an, die hinauf in den Ort führt. Mein Weg ums Höft findet hier immer sein Ende, denn der folgende Küstenabschnitt wird von bedeutend höheren und aufgrund ihrer Zusammensetzung instabilen Kliffs gesäumt. Oben angekommen marschiere ich zunächst in das Restaurant "Zum trauten Fischerheim" um einen Kaffee zu trinken und Kuchen oder Eis zu schnabulieren. Auf der Terrasse stehen Strandkörbe, in denen man es sich gut gehen lassen kann. Wer will auch bei einem Fisch- oder Fleischgericht. Danach geht es zurück zur Treppe, wo es jetzt nicht an den Strand, sondern auf den Hügel geht.  Wer Lust hat, kann sich natürlich noch den Ort anschauen, was maximal eine halbe Stunde in Anspruch nimmt. Klein Zicker ist nämlich tatsächlich klein, sehr klein sogar und besteht lediglich aus einigen wenigen Häusern rechts und links der Straße, die für den Autoverkehr gesperrt ist. Der Weg auf den Hügel führt zunächst an einen Aussichtspunkt mit einer Informationstafel und einmaligen Ausblicken zu den Zickerschen Bergen. Vom Beginn des Weges an der Treppe an bis zur Rückkehr an den Ortseingang lohnt sich übrigens jeder Blick nach rechts und links, wenn man sich für Pflanzen und/oder Insekten interessiert. Gemeine Grasnelken, Sommerwurzen, Echter Ehrenpreis, Sandstrohblume, Bergsandglöcken und und und. Im Frühling sind manche Hänge mit Wiesen-Schlüsselblumen und imposanten, blühenden Obstbäumen übersät. Traumhaft.

An einem uralten, umgestürzten, aber dennoch lebenden Birnbaum steht eine Bank, auf der es sich wunderbar ausruhen lässt ... wenn sie denn frei ist. Vom höchsten Punkt der Hügel aus wird man mit einem Rundumblick erster Klasse verwöhnt: nach Groß Zicker, Thiessow mit dem Lotsenberg und Klein Zicker am Fuße der Hügel. Alles umgeben von den Wassern der Ostsee und der Bodden, die ab dem frühen Nachmittag silbern schimmern und eine außergewöhnlich schöne Stimmung erzeugen. Das alles erlebt man aber nur, wenn man vom Aussichtspunkt aus nicht wieder zum Ort hinabgeht, sondern dem Weg über die Hügel folgt. Wichtig ist, dass man an der Weggabelung vor dem umgestürzten Birnbaum links abbiegt und dem abschüssigen Weg folgt, der zunächst durch Wiesen und dann am Boddenufer und dem winzigen Hafen vorbeiführt. Wenn man den richtigen Weg gewählt hat, kommt man am Parkplatz mit dem WC-Haus und dem Imbiss am Ortseingang an. Am Boddenufer tauchen übrigens gar nicht so selten Bartmeisen auf, Ringelnattern liegen ab und zu in der Sonne und an einer Stelle steht eine stattliche Staude des Echten Baldrians. Auf dem Parkplatz biege ich links ab und folge dem geteerten Weg, der parallel zur Straße nach Thiessow verläuft. Nach dem Passieren einiger Gebüsche und zum Trocknen aufgestellter Schilfbündel öffnet sich links ein weitläufiges Wiesengelände, welches einerseits vom Bodden und andererseits von der Straße nach Thiessow begrenzt wird.

An dieser Stelle sei gesagt, dass Klein Zicker ein sehr beliebtes Touristenziel ist und vor allem am Wochenende jede Menge Reisebusse dort ankommen. Wer Ruhe und möglichst wenige Menschen mag, sollte Wochenenden und Feiertage also meiden.