Botanische Kostbarkeiten - unsere Orchideen


Nein, es gibt sie nicht nur im Blumenladen oder in tropischen Ländern. Sie gedeihen auch bei uns: Orchideen. Schön. Faszinierend. Selten. In vielen Gebieten Deutschlands ausgesprochene Raritäten oder ausgestorben. 

 

Orchideen sind anspruchsvolle, botanische Kostbarkeiten, weil sie in speziellen Biotopen leben. Biotopen, die immer rarer werden: Moore, Kalkmagerrasen, bestimmte Buchenwälder zum Beispiel oder Feuchtwiesen. In meiner Kindheit gab es in Buchholz, das inzwischen zum Bezirk Pankow gehört, noch Wiesen, die im Frühling voller Sumpfdotterblumen und Breitblättrigen Knabenkräutern waren. Im Randbereich, dort, wo es weniger feucht war, wuchs sogar das Kleine Knabenkraut in stattlicher Zahl. Den Sumpfdotterblumen und Knabenkräutern folgte ein Meer aus anderen Blumen - Kuckuckslichtnelke, Prachtnelke, Teufelabbiss, Weidenalant und später sogar Lungenenzian, um nur einige zu nennen. Doch dieser Anblick gehört für immer und schon lange der Vergangenheit an. Nach der Entwässerung der Wiesen wurden eintönige Maisäcker daraus. Mit den Wiesen verschwanden nicht nur die Pflanzen, sondern auch eine äußerst vielfältige Insekten- und Vogelwelt.  Der Große Brachvogel, damals ein selbstverständlicher Bewohner der Wiesen, der unsere Kindheit mit seinem Ruf begleitete, wird heutzutage nicht nur um Buchholz herum vergeblich gesucht. Das Gleiche gilt für den Kiebitz, diesen mutigen, schwarz-weißen Vogel, der sich nicht davor scheut, Krähen oder Bussarde zu verjagen.

 

Orchideen sind also nicht per se selten, sondern weil Mensch dafür gesorgt hat und immer noch sorgt. Intensive Beweidung, Düngereintrag von angrenzenden Feldern, falsches Mähen oder Beweiden der Wiesen, das Abpflücken und Ausgraben von Pflanzen - das sind nur einige Dinge, die für das Verschwinden der Orchideenbiotope und -vorkommen verantwortlich sind. Hinzu kommen Spätfröste sowie Wildschweine und Rehe, die Orchideen als Köstlichkeit betrachten. Oder eine träge Bürokratie, die das Ausweisen von Schutzgebieten verschleppt und die Pflege von Orchideenwiesen vernachlässigt. Ein Großteil der Pflegearbeiten, wie extensive Beweidung oder Mahd wird heute von Ehrenamtlichen organisiert oder realisiert - dem NABU oder dem BUND, den Arbeitskreisen Heimische Orchideen und allen, die sich beteiligen sei Dank. Ohne ihr Engagement gäbe es inzwischen noch weniger Orchideenstandorte als ohnehin. Denn Orchideenwiesen, die zu den artenreichsten Lebensräumen überhaupt gehören, sind auf die Pflege durch den Menschen angewiesen. Bleibt sie aus, gewinnen Bäume und Büsche bald die Oberhand und verdrängen die Wiesenbewohner.  Ja, es ist paradox. Ich weiß. Was die Orchideenwiesen angeht, war es der Mensch, der sie durch seine Nutzung geschaffen und später zerstört hat. Nun versucht er verzweifelt, sie zu bewahren. In den Wäldern spielt vor allem eine ausbeuterische Forstwirtschaft eine Rolle, die keine Rücksicht darauf nimmt, wo etwas wächst. Moore werden trocken gelegt und in eintöniges Grasland verwandelt. Und so weiter. Und so fort.

 

Ganz besonders verheerend ist der Pflanzenklau. Egoismus pur. Völlig sinnlos übrigens. Denn: Orchideen sind nicht nur an ganz bestimmte Böden gebunden, sondern auch an spezielle Pilze, an Mykorrhizapilze, mit denen sie eine lebenslange Symbiose eingehen. Diese Pilze existieren ausschließlich an ihrem natürlichen Standort. Entfernt man die Pflanzen, sterben sie.  Es lohnt sich also in keinster Weise, Orchideen für einen Umzug in den eigenen Garten auszugraben. Man richtet damit nicht nur immensen Schaden an einzelnen Pflanzen bzw. am gesamten Bestand an, man begeht außerdem eine Straftat - das sei mal in aller Deutlichkeit gesagt. Denn alle einheimischen Orchideenarten stehen unter strengstem Schutz. Nicht nur durch die deutsche und europäische Gesetzgebung, sondern auch und vor allem durch das Internationale Washingtoner Artenschutzabkommen (Cites). Verstöße können empfindliche Geldstrafen und sogar Haftstrafen zur Folge haben. Wenn Sie also einheimische Orchideen in ihrem Garten bewundern möchten, fahren Sie bitte zu Pflanzen-Kölle oder einen anderen Gartenfachhandel - die Auswahl an nachgezüchteten Orchideen ist groß und sie kosten längst nicht so viel Geld, wie Sie vielleicht annehmen.

 

Mal abgesehen von der Strafbarkeit des Abreißens und Ausgrabens: Für jeden verbietet sich das Abreißen und Ausgraben irgendwelcher Pflanzen von selbst. Grundsätzlich und insbesondere wenn es um Naturschutzgebiete oder gar Nationalparks geht. Denn diese Gebiete wurden nicht für Sie unter Schutz gestellt, sondern für die Tiere und Pflanzen, die dort leben. Sie sind lediglich Gast und sollten sich wie ein solcher benehmen: Respektvoll und regelkonform. Denn die Regeln gibt es nicht umsonst. Erfreuen Sie sich an allem, was sie dort erleben, sehen, riechen und hören. Staunen Sie. Und hoffen Sie, dass es auch Ihren Kindern und Enkelkindern noch möglich sein wird, eine bunte, vielfältige Orchideenwiese bewundern zu können. Eine Orchideenwiese ist nämlich ein Feuerwerk aus Farben, Formen, Gerüchen und Geräuschen. Farbenfrohe und formenreiche Blütenvielfalt im Verbund mit unendlich vielen Düften sowie dem Brummen und Summen der Insekten, gekrönt von Faltern in allen Größen - das ist ein unvergessliches Erlebnis. Leben pur. Und jeder einzelne von uns kann seinen Teil zum Schutz dieser botanischen Kostbarkeiten beitragen, indem er nicht auf Orchideenwiesen rumtrampelt, Pflanzen weder abreißt noch ausgräbt und sich beim Fotografieren nicht vom Jäger- und Sammlergen, sondern vom Respekt vor der Natur leiten lässt. Freuen Sie sich einfach, wenn Sie das Glück haben, auf Orchideen zu treffen.

 

Orchideen sind nicht nur schön, sie sind ein Wunder der Evolution. Faszinierend und mit unglaublichen Fähigkeiten ausgestattet. Ragwurzen beispeilsweise (die allerdings eher im Süden Deutschlands und dort nur mit wenigen Arten vertreten sind) ahmen nicht nur das Aussehen ihrer Bestäuber wie Hummeln, Fliegen und Bienen nach. Sie verströmen außerdem einen Duftcocktail aus über 100 Komponenten, der dem eines paarungsbereiten Insektenweibchens gleicht, um Bestäuber anzulocken. Haben die Bestäuber auf der Mimikriblüte den vermeintlichen Fortpflanzungsakt vollzogen, hat die Pflanze ihr Ziel erreicht und verändert ihren Duft dahingehend, dass sie für die Männlichkeit nicht mehr attraktiv ist. Namen wie "Hummel-Ragwurz" oder "Spinnen-Ragwurz" geben darüber Auskunft, welches geflügelte Wesen jeweils an der Nase herumgeführt wird. Bewusst und raffiniert täuscht die Ragwurz nämlich ihre Bestäuber. Darüber muss man mal nachdenken ... Irre ist das.

 

Orchideen sind nahezu weltweit verbreitet. Wieviele Arten es tatsächlich gibt, weiß anscheinend keiner so genau. Die Angaben schwanken zwischen 20.000 und 30.000 Arten. Gleiches gilt für unsere heimischen Orchideenvertreter: In meinen Büchern gibt es Angaben, die von 27 über 33 bis zu 44 deutsche Orchideenarten reichen. Ich nehme an, dass diese schwankenden Zahlen mit der Tatsache zu tun haben, dass sich verschiedene Orchideenarten eines Standortes nicht selten miteinander vermischen und sogenannte Bastarde hervorbringen. Wenn man sich mit unseren heimischen Orchideen näher beschäftigt, stößt man bald auf Diskussionen darüber, ob es sich bei einem Exemplar mit verschiedenen Artmerkmalen um eine neue Orchideenart oder eben um einen Bastard handelt. Die Tatsache der auffälligen Bastardbildung wird von manchen Botanikern als Zeichen einer noch nicht abgeschlossenen Evolution, also Artenbildung ausgelegt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Orchideen eine relativ junge Pflanzenfamilie darstellen. Die ältesten, bisher gefundenen Fossilien sind ca. 80 Millionen Jahre alt.  Tjaaaa. Wie unschwer zu erkennen ist, ist das Thema "Orchideen" alles andere als einfach zu beackern. Man muss sich schon sehr intensiv mit diesen Pflanzen sowie Botanik im Allgemeinen befassen, um irgendwann alle in Deutschland vorkommenden Stendelwurzen oder Knabenkräuter sicher bestimmen zu können.  Eigentlich ist das nur dann möglich, wenn man die Möglichkeit hat, Orchideen in natura zu betrachten und sie dann mit Hilfe von sehr guten Bestimmungsbüchern zuordnen. Man muss also zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Dann, wenn die Pflanzen blühen. Und das ist aufgrund ihrer Seltenheit gar nicht so einfach. Hat man die Absicht, alle in Deutschland heimischen Orchideen zu erleben, muss man außerdem quer durch Deutschland reisen mit dem entsprechenden Glück im Gepäck, erstens die Pflanzen überhaupt zu finden und zweitens, sie blühend anzutreffen. Sehr hilfreich war es für mich, mich ausführlich über Orchideenbiotope zu informieren, über sogenannte Zeiger- und Begleitpflanzen und auf Wanderungen stets die Augen offen zu halten.  Das hat mir im Laufe vieler Jahre einige wunderbare Orchideenerlebnisse beschert, für die ich unheimlich dankbar bin.

 

Allen, die sich näher mit unseren einheimischen Orchideen beschäftigen möchten, seien die Informationen des Arbeitskreises Heimische Orchideen an Herz gelegt, der sich mit seinen Landesverbänden dem Schutz dieser einzigartigen Pflanzen mit allem Drum und Dran verschrieben hat.  Dort finden Sie auch die "Orchidee des Jahres" und ihre Vorgänger, was Ihnen einen guten Einblick in die einheimische Orchideenwelt verschafft.

 

Arbeitskreise Heimische Orchideen