Die schöne Misteldrossel (Turdus viscivorus) gehört zu jenen Vögeln, die mir in meinem Wohnumfeld nicht allzu oft begegnen. In der Regel tauchen einzelne Tiere zwischen Ende November und Neujahr auf und ich habe dann bis ungefähr Mitte/Ende Februar Gelegenheit, sie zu beobachten, was mir stets unheimlich viel Freude macht. Manchmal tauchen ab Mitte März noch einmal kleine Trupps auf, die allerdings nur kurz bleiben, also auf der Durchreise sind. Misteldrosseln sind, je nachdem wo sie ihre Brutgebiete haben und wie sich die Winter gestalten, Zugvögel oder sogenannte Teilzieher. Manche ziehen in harten Wintern nach Südeuropa oder Nordafrika, andere bleiben in Mitteleuropa. Ich vermute, dass es sich bei "meinen" Misteldrosseln um Gäste aus brandenburgischen Wäldern oder gar Nordosteuropa handelt. Die Misteldrossel ist die größte unserer einheimischen Drosseln. Vom Kopf bis zum Ende der Schwanzfedern bis zu 29 Zentimeter lang ist sie etwas größer als die Amsel (Turdus merula). So unverwechselbar wie die Amsel ist die Misteldrossel jedoch nicht, denn auf den ersten Blick kann man sie durchaus für eine Singdrossel (Turdus philomelos) halten.

Auf den zweiten Blick erkennt man jedoch, dass die Singdrossel mit maximal 22 Zentimetern Körperlänge nicht nur kleiner und insgesamt zierlicher als die Misteldrossel ist. Auch die Oberseiten der Vögel unterscheiden sich: Der Rücken der Singdrossel ist braun, der der Misteldrossel graubraun, wobei das Grau oft überwiegt. Die Singdrossel ist kurzschwänzig. Die Misteldrossel besitzt einen langen Schwanz, der besonders im Flug auffällt. Ein sicheres Erkennungsmerkmal der Misteldrossel stellen die weißen Flügelunterseiten dar, die man zugegebener Maßen nur sehen kann, wenn sie fliegt oder in einem Busch der Weißbeerigen Mistel (Viscum album) landet. Gemeinsam ist den beiden Drosseln, dass die helle Vorderseite des Rumpfes kräftige dunkle Flecken aufweist, die sich in der Form jedoch voneinander unterscheiden. Die Flecken der Misteldrossel sind tropfenförmig, die der Singdrossel ähneln einem auf dem Kopf stehenden Herz. Typisch für Misteldrosseln ist ein lautes, schnarrendes Geräusch, welches sie zum Beispiel hören lässt, wenn sie sich gestört fühlt und das man sofort erkennt, wenn man es einmal gehört und der Misteldrossel zugeordnet hat. Da Singdrosseln anders als Misteldrosseln grundsätzlich Zugvögel sind, ist ihr Anblick zumindest in den Monaten Dezember und Januar nahezu ausgeschlossen. Nahezu deshalb, weil Überwinterungsversuche aufgrund der milden Winter zunehmen.

Zu meinen bevorzugten Misteldrossel-Beobachtungsplätzen gehört ein Pappelhain, in dem die Bäume über und über mit Weißbeeriger Mistel bewachsen sind und in welchem in den Wintermonaten zuverlässig eine Misteldrossel erscheint. Da ich Misteldrosseln bei uns in Staaken nicht allzu häufig zu sehen bekomme, zieht es mich in dieser Zeit immer wieder dort hin. Bis Ende Januar/Mitte Februar bleibt die Misteldrossel in diesem Gebiet und ich nutze die Zeit für Beobachtungen und das Fotografieren. Irgendwann ist sie dann einfach weg. Meine bevorzugte Zeit ist der Morgen, denn ich habe festgestellt, dass Misteldrosseln morgens am besten zu beobachten sind. Der morgendliche Alltag der Misteldrossel geht übrigens so: Erst einmal hoch oben im Geäst in der Morgensonne aufwärmen und den Mistelbusch fürs Frühstück ausspähen. Anschließend fliegt sie auf den Baum, der den auserwählten Mistelbusch trägt, schaut sich aufmerksam um und dann gehts los mit dem Frühstück, nämlich den Mistelbeeren. Trägt die ausgewählte Mistel rundum Beeren, setzt sich der Vogel meist oben rauf, um zu fressen. Sind die Beeren an den Außenseiten vertilgt, kann die Misteldrossel aber auch völlig in der Mistel verschwinden. um an die inneren Beeren zu gelangen. In den Mistelbüschen entpuppt sich die recht große Drossel als sehr geschickt und ist außerdem hervorragend getarnt. Man muss wirklich sehr genau hinschauen, falls sie in den Mistelbusch hinein geflogen ist.

Wer sich auf die Suche nach Misteldrosseln macht, sollte also in den Wintermonaten Gebiete aufsuchen, in denen es noch viele Mistelbäume gibt. Leider werden diese insbesondere im urbanen Raum zunehmend gefällt, wodurch den Vögeln eine der wichtigsten winterlichen Nahrungsquellen entzogen wird. Wenn die Bäume belaubt sind oder der Vogel gerade in Mistelbüschen auf Nahrungssuche ist, fällt die Misteldrossel übrigens kaum auf. Es sei denn, sie verrät sich durch ihr typisches Schnarren. Und das lässt sie ganz sicher hören, wenn man durch ihr Gebiet streift und ihrem Mistelbaum zu nahe kommt. Das Schnarren ist zwar ein typisches Geräusch dieses Vogels, aber sie kann auch singen, das sei gesagt. Ihr Gesang ähnelt dem der Amsel, ist jedoch nicht so abwechslungsreich und melodisch. Außerdem lohnt es sich, unter den Mistelbäumen nach ihren Perlenketten Ausschau zu halten, die nicht immer in den oberen Ästen hängen bleiben, sondern in der winterkahlen Strauchschicht landen. Das Schnarren der Misteldrossel und der in der Strauchschicht hängende Kot sind sichere Anzeichen dafür, dass sich Misteldrosseln im Gebiet aufhalten. Misteldrosseln sind übrigens ausgesprochen streitsüchtige, aber auch mutige Vögel. Hat eine Misteldrossel einen mit Misteln bewachsenen Baum für sich erkoren, wird sie diesen gegen jeden anderen Vogel leidenschaftlich verteidigen. Egal, ob Wacholderdrossel, Buntspecht, Kernbeißer, Blaumeise oder Gimpel - alle werden sofort unter schnarrenden Gezeter verjagt. Eine Misteldrossel bleibt auf ihrem Baum offensichtlich gern für sich. Ein besonderes Erlebnis hatte ich am 8. Januar 2022, als ich miterlebte, wie eine Misteldrossel immer wieder von einem Eichelhäher gestalkt wurde und diesen erfolgreich verjagt hat.