Wenn man etwas über die Blindschleiche zum Besten gibt, sollte man als erstes erwähnen, dass der lateinische Name "Aguis fraglilis" ziemlich irreführend ist. Denn die Blindschleiche ist keine Schlange, auch wenn sie sich beinlos durch die Gegend schlängelt. Nur das "zerbrechliche", das stimmt. Denn wenn sie von einem Feind gepackt wird, zerbricht sie quasi: Sie wirft ihren Schwanz ab, so wie das vielen Echsen als Schutzfunktion eigen ist. Das trächtige, sich sonnende Weibchen auf dem zweiten Foto zeigt das beispielhaft. Echsen? Ja. Echsen. Denn genau das ist sie, eine Echse. Verwirrt? Okay. Macht aber nichts.
Hauptmerkmale dafür, dass die Blindschleiche zu den Echsen zählt, ist die Tatsache, dass ihre Embryonen vor ihrer Geburt winzige Anlagen von vier Gliedmaßen aufweisen. Auch ihre im Gegensatz zu Schlangen etwas behäbige Art der Fortbewegung sowie ihre beweglichen Augenlider gehören unter anderem zu diesen Merkmalen. Wie dem auch sei. Die Blindschleiche ist ein unglaublich hübsches Reptil, finde ich. Ihre Augen haben etwas Kluges, Weises. Und sie hat die Ruhe weg. Egal, ob sie unterwegs ist oder frisst - alles geschieht langsam und wirkt irgendwie unbeholfen. Das "Schleiche" in ihrem Namen passt von daher sehr gut. Mit dem "Blind" sieht es da schon anders aus. Tatsächlich kann das Echsentier nicht besonders gut sehen. Ihr Name "Blindschleiche" ist aber nicht darauf zurückzuführen, sondern auf die seine sprachliche Herkunft. "Plintslicho", so wurde sie im Alt-Hochdeutschen genannt und das bedeutet so viel wie "blendender Schleicher". Und wenn man sich Blindschleichen so anschaut, dann passt diese Bezeichnung hervorragend. Ihre metallisch schimmernde graue oder bräunliche Haut schimmert in der Sonne besonders schön.
Allerdings hat die langsame Lebensweise der Blindschleiche einen erheblichen Nachteil. Wie alle Reptilien lieben und brauchen Blindschleichen Wärme und liegen deshalb besonders gern auf sonnenerwärmten Wegen oder Straßen. Aber im Gegensatz zu Ringelnattern oder Zauneidechsen bleiben sie bei Annäherung eines Menschen oder Fahrzeuges oft liegen und fliehen nicht blitzschnell ins nächstgelegene Versteck. Mir ist es nämlich schon oft passiert, dass ich fast auf eine Blindschleiche raufgetreten wäre, weil sie reglos mitten auf einem Waldweg lag und keine Anstalten machte, zu verschwinden. Durch ihre bräunliche Farbe sind sie zudem hervorragend getarnt und auf einem Waldweg kaum zu erkennen. Und selbst, wenn man direkt vor ihnen in die Knie geht, um sie zu fotografieren, rühren sie sich nicht vom Fleck. Was für den Fotografen ein Glück ist, bedeutet für sie leider oft den Tod. Ich habe in meinem Leben um ein Vielfaches mehr von Autos und Fahrrädern überfahrene Blindschleichen gesehen als lebendige.
Außerdem befinden sie sich auf einem Weg oder einer Straße wie auf dem berühmten Präsentierteller, und zwar für ihre zahlreichen Fressfeinde. Dazu gehören nicht nur Graureiher, Storch und Nebelkrähe oder Kolkrabe, Mäusebussard und Schlangenadler, sondern auch Rotfuchs, Dachs und Iltis sowie Hauskatzen, um nur einige zu nennen.
In meiner Kindheit konnte man Blindschleichen sogar in Parks und Gärten begegnen, heutzutage sind sie rar geworden. Jedenfalls in Berlin und im Speckgürtel. Dabei braucht so eine Blindschleiche nicht viel zum Leben und kommt in unterschiedlichsten Lebensräumen zurecht. Bis auf vollsonnige und sehr warme Gebiete kommt sie gut wie überall zurecht, sofern neben Sonnenplätzen Halbschatten und ein vielschichtiger Bewuchs aus Kräutern, Sträuchern und Moosen vorhanden ist. Altes Laub, das nicht weggeräumt wird und Totholz in Form von umgestürzten Bäumen, Baumstümpfen und Ansammlungen von Ästen bieten ihr Unterschlupf und Orte für den Winterschlaf. Wenn dann noch genügend Nahrung wie Nacktschnecken und Würmer durch ihr Revier kreuchen, ist die Welt der Blindschleiche perfekt. Die Blindschleiche braucht übrigens anders als viele andere Echsen keine sandigen Plätze, an denen sie ihre Eier vergräbt und von der Sonne ausbrüten lässt. Sie ist lebendgebärend. Die Jungtiere werden nur von einer dünnen Eihülle umgeben geboren und sind als 7 bis 9 Zentimeter lange Winzlinge sofort auf sich gestellt.