Die Wiesenschafstelze (Motacilla flava)

Meine letzten Berliner Wiesenschafstelzen habe ich im Frühjahr/Sommer 2016 in unmittelbarer Nähe zum Staakener Hahneberg erlebt. Es handelte sich um ein Pärchen, welches in jenem Jahr zum letzten Mal dort brütete. Und weil das trauriger Weise so ist, freue ich mich in meinen Rügenurlauben immer ganz besonders auf die trippelnden, farbenfrohen Vögel, denn auf Rügen gibt sie noch in recht großer, wenn auch über die Jahre abnehmender Zahl. Die Gründe für das Abnehmen der Wiesenschafstelzen sind hier wie dort dieselben: zu frühe Mahd der Wiesen und Zerstörung der Gelege bzw. Brut, Verlust der Lebensräume, Störungen durch Menschen und Hunde, Insektizid- und Pestizideinsatz und und und. Aber dort, wo es noch intakte Wiesen gibt und Weidetiere nicht weit sind ... wo Äcker noch von artenreichen Feldrainen gesäumt werden ... wo Menschen und Hunde nicht zum dauerhaften Störfaktor mutieren ... und Gewässer wie Teiche, Bodden oder Gräben die Landschaft bereichern, lassen sich immer noch zahlreiche Brutpaare nieder. Rund um den Deichweg zwischen Lobbe und Middelhagen zum Beispiel trifft man in jedem Frühjahr regelmäßig auf Wiesenschafstelzen, die man mit Ruhe und Geduld gut beobachten kann. Da selbst in diesem Gebiet, das zum Biosphären-Reservat Südost-Rügen gehört, viele Wiesen viel zu früh im Jahr gemäht werden, brüten die Vögel teilweise in den Äckern oder in den landseitigen Randbereichen der Schilfbestände. Äcker werden erst gemäht, wenn die Saat reif geworden ist und das Schilf bleibt einfach stehen. Das ermöglicht den Wiesenschafstelzen eine erfolgreiche Brut und Jungenaufzucht. Insgesamt bietet das Mönchguter Mosaik aus Gewässern, beweideten und unbeweideten Wiesen, Äckern und Wegen sowohl ausreichend Nistgelegenheiten als auch Nahrung. Das gilt ebenso für die Zickerschen Berge und die Gegend um Seedorf und Preetz, aber auch für andere Teile von Deutschlands größter Insel.

Männchen und Weibchen sind im Gelände übrigens nicht so leicht zu unterscheiden, finde ich. Meistens fällt einem eh nur das sich produzierende Männchen auf und irgendwie sind die Weibchen auch meist unsichtbar. Beide Geschlechter haben einen blaugrauen Kopf mit einem weißen Überaugenstreifen. Der Rücken der Vögel ist grünlich. Die Flügelfedern sind dunkelbraun, die Schwanzfedern schwarz - beide besitzen einen weißen Rand. Beim Weibchen sind alle Farben blasser als beim Männchen, Kehle und Brust sind weißlich gefärbt, Bauch- und Steißregion meist blassgelb. Wiesenschafstelzen sind ungefähr 17 Zentimeter lang und tragen den kürzesten Schwanz der Stelzenfamilie. Und anders als beispielsweise die verwandten Bachstelzen (Motacilla alba) suchen Wiesenschafstelzen die Nähe des Menschen nur insofern, als dass sie Tierweiden für die Nahrungssuche nutzen. Ihr Name "SCHAFstelze" lässt ja schon erahnen, dass sie die Gesellschaft von Schafen und anderen Weidetieren mögen. Weidetiere bedeuten aufgrund ihrer Hinterlassenschaften reichlich Fliegen und andere kleine Insekten, die noch dazu permanent aufgescheucht werden. In vollkommener Stelzenmanier - mal flink trippelnd, mal stelzenhaft schreitend und natürlich mit dem Schwanz wippend - jagen die Vögel dort ihrer Beute hinterher. Wiesenschafstelzen sind reine Fleischfresser und leben von kleineren Insekten, die sie auf kurzrasigen Flächen, aber auch Wegen erbeuten. Beliebt sind außerdem die riesigen Misthaufen, die man manchmal auf den Rügener Feldern sieht und auf bzw. in denen es von Insekten nur so wimmelt.

In das Nest werden fünf bis sechs Eier gelegt. Ist der Nachwuchs geschlüpft, verlässt er nach knapp zwei Wochen, noch nicht flügge das Nest und wird noch eine gewisse Zeit von Altvögeln betreut. Die Brutzeit liegt zwischen Mai und Juli, manchmal dauert sie auch bis August. In der Regel brüten Wiesenschafstelzen einmal. Bereits Ende Juli sammelt sich Wiesenschafstelzen für den Rückzug in ihre Überwinterungsgebiete, in die sie ab Mitte August bis in den September hinein aufbrechen. Bis zum Aufbruch bilden sich Trupps, die gemeinsame Schlafplätze aufsuchen, die entfernt von den Brutgebieten liegen können. Die meisten Wiesenschafstelzen überwintern südlich der Sahara - das ist eine beachtliche Strecke für die kleinen Vögel, finde ich. Ab April tauchen sie dann wieder in den Brutgebieten auf und besetzen die Reviere. Traurig ist, dass auch die Wiesenschafstelze immer seltener wird und in ganz Europa zu den am meisten gefährdeten Singvögeln gehört, was fast ausschließlich auf die Zerstörung ihrer Lebensräume und die konventionelle Landwirtschaft zurückzuführen ist. Ich bedauere es zutiefst, dass ich diese Farbtupfer unserer Vogelwelt in meinem heimatlichen Umfeld schon nicht mehr erleben kann.