Einem Braunkehlchen (Saxicola rubetra) zu begegnen, ist etwas ganz Besonderes, denn es gehört in Europa zu den am stärksten von Lebensraumszerstörung bedrohten Vogelarten. Als Bewohner der Offenlandschaft mit Wiesenflächen und Büschen oder Bäumen und Feuchtgebieten braucht der ca. 13 cm große Vogel eigentlich nicht viel zum Überleben und zur Aufzucht seiner Nachkommen. Selbst Artenreiche Feldraine oder Brachen genügen ihm vollends, wenn diese Sitzwarten und eine große Insektenvielfalt bieten.
Sitzwarten sind für Braunkehlchen unerlässlich. Büsche oder Bäume inmitten einer Wiese oder am Rand, Holzpfähle, die trockenen Stengel von Rainfarn, Beifuß oder anderen krautigen Pflanzen aus dem Vorjahr - Hauptsache, es ragt etwas aus dem umliegenden Gelände hervor, worauf sie sich niederlassen können. Auf den Sitzwarten sitzt meist das Männchen und trällert ein kurzes flötendes Lied, in welches ab und zu Töne anderer Vögel eingestreut sein können. Die Strophen werden von relativ langen Pausen unterbrochen. Der Braunkehlchen-Mann ist also nicht einmal annähernd ein so grandioser und unermüdlicher Sänger wie zum Beispiel das Rotkehlchen. Sein Gesang ist jedoch derart auffällig, dass ich mein erstes Braunkehlchen mit den Ohren und nicht mit Augen entdeckt habe. Nähert sich ein Feind, warnt es sehr ausdauernd mit schrillen, bisweilen sehr tiefen Tönen und wippt wie der Hausrotschwanz aufgeregt auf und ab. In der Paarungs- und Brutzeit sind Männchen und Weibchen gut voneinander zu unterscheiden. Das Männchen brilliert dann mit fast schwarzem Kopf- und Rückengefieder, aus dem der helle Überaugenstreif regelrecht hervorleuchtet. Das Weibchen ist insgesamt schwächer gefärbt. Beide besitzen die namengebende bräunlich-orangefarbene Kehle und Brust. Im Herbst, wenn die Brutzeit beendet ist und das Männchen das Prachtkleid abgelegt hat, sehen Männchen und Weibchen nahezu gleich aus. Braunkehlchen sind Bodenbrüter und legen ihr Nest meist am Fuße eines Busches oder einer größeren Pflanze an, so dass es von oben durch die Stängel und Blätter gut getarnt ist. Braunkehlchen können von Mai bis September bei uns beobachtet werden. Den Winter verbringen sie in den Savannen südlich der Sahara. Wegen ihrer langen Zugwege bezeichnet man sie als Langstreckenzieher. Unglaublich, welche Flugleistungen diese kleinen Vögel erbringen.
Ich schrieb ja bereits oben, dass Braunkehlchen in den meisten europäischen Ländern zu den größten Verlierern in der Vogelwelt zählen. Auch in der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Vögel für Deutschland wird es als stark gefährdet geführt. Und das, obwohl Braunkehlchen früher zu den häufigsten Vögeln in unseren Landschaften gehörten. Das liegt vor allem in der großräumigen, konventionellen Landwirtschaft begründet, in der für artenreiche Feldraine und Hecken kein Platz mehr ist und Wiesen mehrmals im Jahr gemäht werden. Feuchtwiesen werden trocken gelegt, Brachen werden nicht mehr zugelassen. Jedes Fleckchen Erde muss Geld bringen. In unseren ausgeräumten Landschaften, in denen sich Maisfelder für den sogenannten Biosprit (diese Bezeichnung ist wirklich der blanke Hohn) mancherorts bis zum Horizont erstrecken, gibt es weder ausreichend Insekten, Würmer und anderes kleines Getier als Nahrungsgrundlage noch Nistmöglichkeiten. Auch in Staaken und drumherum waren Braunkehlchen bis vor einigen Jahren recht häufig. In der Umgebung des Hahnebergs und anderen offenen Landschaften brüteten jährlich mehrere Paare. Heute ist zumindest in einem Gebiet seit zwei Jahren kein Braunkehlchen mehr aufgetaucht und in der Umgebung des Hahnebergs habe ich 2020 nur ein Brutpaar beobachten können. Gesagt sei, dass in Staaken nicht die Lebensraumzerstörung das Problem ist. Die Lebensräume der hiesigen Braunkehlchen sind mal mehr, mal weniger intakt, werden aber viel zu stark von Menschen und ihren Hunden frequentiert, die in der Regel abgeleint im Unterholz und auf den Wiesen stöbern. Für Bodenbrüter wie das Braunkehlchen ist das fatal. Es ist bitter, mit ansehen zu müssen, das ganze Gebiete im wahrsten Sinne des Wortes vor die Hunde gehen. Hinzu kommen jene Fußgänger - ob nun mit od er ohne Hund - und Radfahrer vor denen kein Gelände sicher ist. Anstatt auf den Wegen zu bleiben, wird kreuz- und quergelatscht und gefahren, was das Zeug hält.
Beobachtungstipp: Gute Chancen, Braunkehlchen beobachten zu können, bestehen in den Schilfgebieten des Rügener Mönchguts oder auf dem Darß zwischen Nothafen und Darßer Ort. Sollte ein Braunkehlchen Ihren Weg kreuzen, dann schauen und hören Sie genau hin. Genießen Sie den Anblick und den Moment. Denn es könnte das letzte Braunkehlchen sein, das Ihnen begegnet ist ...