Manche nennen sie "Amsel", andere "Drossel". Richtig ist beides, denn die Amsel (Turdus merula) gehört in der Systematik zur Familie der Drosseln (Turdidae). Jeder kennt sie, hat sie schon einmal gesehen und mit Sicherheit gehört. Neben Blaumeise und Kohlmeise sowie dem Haussperling ist die Amsel einer unserer häufigsten Singvögel. Ehemals in den Wäldern beheimatet leben Amseln heute auch mitten unter uns - in Städten und Dörfern, in Gärten und Parks. Aber wie das so ist mit Pflanzen und Tieren, die häufig und somit irgendwie selbstverständlich geworden sind, widmet dem allgegenwärtigen Vogel kaum jemand seine Aufmerksamkeit. Sie ist einfach da. Dabei gehört das Lied des Amsel-Männchens zu den schönsten einheimischen Vogelgesängen. Der bereits im frühen Morgengrauen erklingende, klare Gesang des Amsel-Männchens erfreut in jedem Frühjahr aufs Neue meine Herz und zaubert ein Lächeln in mein Gesicht. Der Gesang des Amsel-Männchens ist unvergleichlich. Wunderschön. Und sehr berührend, finde ich. Der Amselmann ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Singvogel und vom Aussehen her mindestens so schön wie sein Gesang. Das tiefschwarze Gefieder, der leuchtend gelb gefärbte Schnabel und Augenring - er ist schlichtweg eine Augenweide.
Dem Weibchen hingegen fehlen die schwarzen Farbtöne genauso wie der leuchtend orangegelbe Schnabel und Augenring. Das Gelb wirkt etwas bräunlich und meist nicht so auffällig wie beim Amselmännchen. Das Gefieder des Weibchens ist braun, auf der Brust oft heller als am übrigen Körper und mal mehr, mal weniger stark gefleckt (gedrosselt). Dem Weibchen ähnlich sind die Jungvögel. Die bräunliche Grundfarbe von Weibchen und Jungvögeln bietet eine hervorragende Tarnung auf dem Nest und im Geäst von Büschen und Bäumen. Wenn die Vögel reglos auf einem Ast sitzen, sind sie im Spiel von Licht und Schatten nur schwer auszumachen. Jungvögel verraten sich allerdings oft durch ihre Bettelrufe, wenn sie als Ästling von den Eltern außerhalb des Nestes noch eine Weile gefüttert werden oder ihnen bei der Nahrungssuche am Boden quasi über die Schulter schauen. Bettelnd trippeln sie den Altvögeln hinterher und lernen so, was man fressen kann und was nicht. Altvögel hingegen machen vor allem mit ihrem durchdringenden Geschrei auf sich aufmerksam, wenn sie sich gestört fühlen oder ein Feind im Anflug ist. Hin und wieder flattern einem außerdem Amseln mit einzelnen weißen Federn über den Weg - mal am Kopf, mal an der Brust oder im Schwanzgefieder. Seltener sind Amseln mit weiß gefiederten Körperteilen oder gar komplett weißem Federkleid. Dabei handelt es sich um eine Laune der Natur, einen harmlosen Gendefekt: den sogenannten Leuzismus.
Dass Amseln so häufig vorkommen, liegt übrigens vor allem daran, dass sie Allesfresser sind. Ihr Speiseplan reicht von Insekten, Regenwürmern, jungen Eidechsen und
Schnecken über Beeren und Früchte bis hin zu Aas. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, werden sie sogar zum Nesträuber wie Nebelkrähe, Eichelhäher oder Eichhörnchen es sind. Gartenbesitzern wird
nicht neu sein, dass Amseln sehr zutraulich werden können. Neugierig beobachten sie alles, was in ihrem Revier vor sich geht. Ein frisch gemähter Rasen oder ein aufgelockertes Beet ziehen sie
magisch an, denn dort kommt durch die Gartenarbeit so allerlei Nahrung zum Vorschein, vor allem Regenwürmer, Raupen und Schnecken. Apropos Schnecken: Die Amseln auf unserem Grundstück fressen
auch Nacktschnecken, die vor dem Auffressen lange im Sand hin- und hergewälzt werden, um den Schleim zu entfernen. Haben sich Amseln erst einmal an die Gartenbesitzer gewöhnt, lassen sie sich
weder bei der Nahrungssuche noch beim Gesang stören. Kaum ein Vogel kann so häufig und so gut beobachtet werden wie die Amsel, wenn die Bedingungen passen. Wer einen halbwegs naturnahen Garten
besitzt, wird nicht lange auf ein Amselpärchen warten müssen, muss sich aber daran gewöhnen, Obst wie Kirschen und Pflaumen zukünftig mit gefiederten Bewohnern teilen zu müssen, denn Amseln
lieben Obst. Im Winter stellen Beeren von Weißdorn und Co. die Hauptnahrung der Amseln dar - siehe Abschnitt "Beeren für unsere Amseln".
Die Kreativität bei der Nahrungssuche findet ihr Spiegelbild in der Auswahl des Nistplatzes. Alles, was einigermaßen Deckung und Halt für das Nest gibt, wird genutzt. Und wenn es keinen Baum oder Busch gibt, tut es auch eine Fensternische oder ein Hohlraum in irgendeiner Mauer. Sehr beliebt und ideal sind dichte Hecken und mit Efeu oder Wildem Wein bewachsene Mauern oder Zäune, in denen das Amselnest bestens versteckt, vor Wettern geschützt und für Feinde nur schwer erreichbar ist. Und Feinde haben Amseln mehr als genug. Zu ihnen gehören die bereits erwähnten Nebelkrähen, Eichelhäher und Elstern, die es auf die Eier sowie die Jungvögel abgesehen haben. Eichhörnchen gehen ebenfalls auf die Suche nach Vogelnestern. Ich habe schon mehrmals Eichhörnchen beobachtet, die ganz gezielt alle Plätze abgesucht haben, an denen sich Nester befinden könnten, zum Beispiel Baumhöhlen oder Mauernischen und -spalten. Marder und Waschbären sind ebenso ständig auf der Suche nach Vogelnestern, während sich Habicht, Sperber oder Mäusebussard so manche Amsel greifen. Nicht zu vergessen: unsere Hauskatzen! Amseln brüten übrigens mehrmals im Jahr. In das napfförmige Nest werden 4 bis 5 bläuliche, gesprenkelte Eier gelegt, aus denen nach ungefähr 14 Tagen der Nachwuchs schlüpft. Die jungen Amseln verlassen relativ früh das Nest und können noch nicht fliegen, werden aber - wie bereits erwähnt - außerhalb des Nestes noch eine Weile von den Altvögeln gefüttert.
Amsel-Männchen kennen übrigens kein Pardon, wenn es während der Balz- und Brutzeit um Reviere und die holde Weiblichkeit geht. Amsel-Männchen können sich stundenlang verfolgen und miteinander kämpfen, wobei es richtig zur Sache geht und auch mal ordentlich die Federn fliegen. In guten Amseljahren habe ich schon bis zu 8 Amsel-Männchen beobachten können, die leidenschaftlich und wenig zimperlich ihre Streitigkeiten austrugen, sich gegenseitig belauerten und verfolgten oder miteinander kämpften. Hat sich ein Männchen für ein Weibchen entschieden (oder umgekehrt), wird das Objekt der Begierde nicht mehr aus den Augen gelassen. Ob bei der Futtersuche oder beim Sammeln von Nistmaterial - das Männchen ist stets in der Nähe und greift sofort ein, sobald ein Konkurrent auftaucht.
Übrigens: Amseln lieben es, ein Bad zu nehmen. Und wenn es um ihre persönliche Badestelle geht, kennen sie im Umgang mit anderen Vögeln keine Toleranz. Wenn sie sich dazu entschlossen haben, in einer Vogeltränke oder Pfütze ein Bad zu nehmen, werden andere Vögel ohne Wenn und Aber vertrieben. Egal, ob es Schlamm sammelnde Mehlschwalben, durstige Kernbeißer oder Nebelkrähen sind. Eine Amsel möchte ihr Bad ungestört genießen.
Auch wenn die Amsel in der Balz- und Brutzeit sowie an ihrer Badestelle streitsüchtig erscheint: Zumindest im Winter, einer Jahreszeit, in der sich zu unseren
Stadtamseln viele Amseln gesellen, die den Rest des Jahres in ihrem ursprünglichen Lebensraum, dem Wald verbringen, zeigt sie sich an Vogelfutterstellen meist friedfertig. Allerdings fliegen sie
ungern in Vogelhäuser, finden sich aber an Bodenfutterstellen sehr zahlreich ein. Wer einen vogelfreundlichen Garten hat mit (katzensicheren) Nistmöglichkeiten wie Hecken, Büsche oder von Echtem
Efeu und Wildem Wein bewachsene Mauern und noch dazu mit viel Pflanzenvielfalt aufwarten kann, wird auf die Amsel nicht lange warten müssen. Wer Amseln im Winter etwas Gutes tun möchte, sollte immer reichlich Äpfel an den Bäumen hängen lassen. Falls kein Apfelbaum vorhanden ist, kann man auch Äpfel an einer Schnur
in die Zweige hängen. Ein gesunder Boden, der regelmäßig mit Wasser versorgt wird, sorgt für Regenwürmer und andere Leckerbissen. Und nicht zu vergessen: Die Vogeltränke, die Amseln nicht nur
brauchen, um ihren Durst zu stillen - wie bereits geschrieben. Als Winternahrung besonders wichtig sind beerentragende Gehölze aller Art, in denen man neben der Amsel auch Wacholderdrosseln (Turdus pilaris) oder Rotdrosseln (Turdus iliacus) als Wintergast entdecken kann. Denn: Wo
Amseln leben, ist immer was los und ich freue mich in jedem Winter aufs Neue auf den Gesang des Amsel-Männchens, der tief in mein Herz geht.