Kein Sommer ohne Bachstelzen (Motacilla alba), denn noch gehören sie - anders als beispielsweise die Wiesenschafstelzen (Motacilla flava) - zu den häufigsten Brutvögeln in Deutschland. Leicht bestimmbar sind Bachstelzen Vögel, die jedem Vogelfreund interessante Beobachtungen ermöglichen und jede Menge Freude bereiten. Anders als ihr Name es vermuten lässt, sind Bachstelzen übrigens nicht zwingend ans Wasser gebunden, bevorzugen aber Lebensräume in Wassernähe. Grundsätzlich besiedeln sie halboffene und offene Landschaften, die von Wegen oder anderen Flächen ohne Bewuchs durchzogen werden. Das können auch Parkplätze, Wege oder Häusdächer sein, denn die Bachstelze hat kein Problem damit, sich in der Nähe von Menschen niederzulassen. Die Bauwerke der Menschen bieten den Vögeln nämlich nicht nur vegetationsfreie Flächen für die Insektenjagd, sondern auch vielfältige Nistmöglichkeiten. Bachstelzen sind an ihrem schwarz-weiß-grauen Gefieder, ihrem mal trippelnden, mal schreitendem Gang leicht zu erkennen. Stelzentypisch ist das Wippen mit dem recht langen Schwanz, wenn sie stehenbleiben. Mit bis zu 19 Zentimetern Körperlänge von der Schnabelspitze bis zum Schwanzende sind Bachstelzen nicht gerade klein, wirken jedoch grazil und zierlich. Männchen und Weibchen sind meiner Meinung nach nur im Prachtkleid während der Balz- und Brutzeit voneinander zu unterscheiden und selbst dann muss man sehr genau hinschauen. Männchen besitzen einen schwarzen Nacken, der sich scharf vom restlichen Körper abgrenzt und einen schwarzen Scheitel. Weibchen haben einen grauen Nacken, der zum Scheitel hin oft (aber nicht immer) schwarz wird. Gemeinsam ist den Geschlechtern der schwarze Latz. Außerhalb der Brutzeit verblassen die schwarzen Töne an Kopf und Nacken, die Vögel werden insgesamt heller und kleiden sich in unterschiedliche Grau- und Weißtöne - bis auf ein schwarzes Brustband. Sie tragen dann das Schlichtkleid, das dem Federkleid der Jungvögel ähnelt.
Bachstelzen können bei uns von ungefähr Ende März bis in den Oktober hinein beobachtet werden, denn sie sind Zugvögel, die den Winter in anderen Gefilden verbringen. Besonders gute
Beobachtungsmöglichkeiten ergeben sich im Frühling, wenn die Vögel aus ihren südwesteuropäischen bzw. nordafrikanischen Überwinterungsgebieten zurückkehren und Brutreviere besetzen. Bei den
ersten Bachstelzen im Jahr handelt es sich um Männchen, die auf Bäumen oder anderen erhöhten Plätzen an ihren Reviergrenzen auf die holde Weiblichkeit warten, die ungefähr 14 Tage nach den
Männchen einfliegt. Bis dahin vertreiben sich die Männchen die Zeit mit dem Besetzen und der Sicherung eines Brutreviers, dem zwitschernden Kundtun ihrer Reviergrenzen und Anwesenheit oder der
leidenschaftlichen Verteidigung ihres Gebietes. Wenn es um Konkurrenten und auch andere Singvögel im Revier geht, kennt ein Bachstelzen-Männchen kein Erbarmen. Als reviertreue Vögel kehren
Bachstelzen übrigens oft in das Brutrevier des
Vorjahres zurück, während der vorjährige Nachwuchs versucht, Brutreviere in der Nähe zu erobern.
Sind die Weibchen endlich da und haben die Männchen ein Weibchen auserkoren, vollführen sie ein reichlich aufwendiges Gehabe und lassen das Objekt der Begierde nicht mehr aus den Augen. Sie laufen permanent auf das Weibchen zu oder hinterher, umkreisen es und folgen ihm im Flug. Da werden Flügel und Schwanz gespreizt oder aufgestellt, alle Federn aufgeplustert - das Männchen legt sich mächtig ins Zeug, um das Weibchen zu beeindrucken. Hat er es geschafft, gehts an den Nestbau, der von den Paaren unterschiedlich gehandhabt wird. Mal obliegt er dem Weibchen allein, mal beiden Partnern, mal werden mehrere Nester angefangen, mal wird nur eines gebaut. Als Nistplatz kommen unterschiedlichste Orte in Frage. Bedingung ist, dass die Vögel vom Nest aus einen guten Überblick über das Drumherum haben und das Nest gegen Feinde und Witterungseinflüsse geschützt ist. Ein Bachstelzen-Nest wie das auf dem unteren Foto, das völlig frei im Betonteil eines Bauzaunes errichtet und kurz nach dem Legen der Eier geplündert wurde, stellt die absolute Ausnahme dar. Oftmals sparen sich Bachstelzen einen aufwendigen Nestneubau und modernisieren lediglich das Nest aus dem Vorjahr. Manchmal werden auch verlassene Nester anderer Vögel besetzt und ausgebaut. Mauernischen und -löcher, Holzbalken, Brückengeländer, alte Schuppen, hinter Leuchtreklamen von Geschäften oder in Holzstapeln und Gerümpel ... - in der Nähe der Menschen sind der Kreativität der Bachstelzen bei der Auswahl des Nistplatzes keine Grenzen gesetzt. Abseits der Menschen dienen Uferabbrüche, Felsnischen, große Grasbüschel oder Hohlräume an Gewässern dem Nestbau. Beliebt sind außerdem alte, manchmal schon teilweise morsche Weiden. Das Nest kommt meist etwas unordentlich daher, da der Unterbau aus grobem Material gebaut wird. Kunstvoller ist der napfförmige Innenteil aus Moos und zarten Halmen, der mit Tierhaaren ausgepolstert wird und in den drei bis sieben weißlich-graue Eier mit dunklen Flecken gelegt werden.
Das Bebrüten der Eier erfolgt von Weibchen und Männchen gleichermaßen. Nach zwei bis drei Wochen schlüpft der Nachwuchs und wird zunächst vom Weibchen gehudert, während das Männchen für die Nahrungssuche zuständig ist. Anschließend füttern beide Elternteile. Nach dem Verlassen des Nestes werden die Jungvögel für ungefähr eine Woche weiterhin von den Altvögeln versorgt, bis sie die Eltern begleiten und sich die Tricks einer erfolgreichen Insektenjagd abschauen. Brüten Bachstelzen in Menschennähe, können sie recht zuverlässig beim Füttern der Jungvögel außerhalb des Nestes beobachtet werden, zum Beispiel auf Gehwegen oder frisch gemähten Flächen.
Sowohl für die Alt- als auch für die Jungvögel stellen Insekten die Hauptnahrungsquelle dar. Ob Käfer, Fliegen, Schmetterlinge ... - es ist erstaunlich, was alles in einen Bachstelzenschnabel passt und wie geschickt die Vögel darin sind, sich ihre Beute zu schnappen. Neben der Jagd auf dem Boden, bei der Bachstelzen all ihr Können im überaus flinken Trippeln zeigen, werden Insekten auch durch kurzes Auffliegen oder im Flug gefangen. Nur ausnahmsweise stehen Sämereien oder Beeren auf dem Bachstelzen-Speiseplan.
Auf Rügen traf ich Bachstelzen übrigens häufig am Strand an - entweder auf Nahrungssuche zwischen den Steinen und angespülten Wasserpflanzen oder beim leidenschaftlichen Bad in der Ostsee. Am Strand kann auch ein typisches Bachstelzenverhalten besonders gut beobachtet werden: Kommt man Bachstelzen zu nahe, fliegen sie vor einem her und lassen sich in einiger Entfernung wieder auf dem Boden nieder. Das kann eine ganze Weile so gehen - auffliegen, weiterflattern, landen, auffliegen, weiterflattern, landen ... - bis sich der Vogel endlich dazu entschließt, nach links oder rechts abzubiegen. Ab September versammeln sich Bachstelzen auf abgeernteten Feldern, kurzrasigen Brachen oder Wiesen, um gemeinsam in Richtung Süden aufzubrechen. Dieses Sammeln konnte ich im Herbst 2016 auf dem Rügener Jasmund beobachten, wo sich auf den Feldern von Tag zu Tag mehr Bachstelzen einfanden. Zu ihnen gesellten sich Goldammern, Grauammern und andere Singvögel, so dass aus den einzelnen Bachstelzen am Urlaubsanfang schließlich ein ansehnlicher Vogelschwarm am Urlaubsende geworden war. Leider ist es mir nicht gelungen, einen der gemeinschaftlichen Schlafplätze zu finden, von denen in der Literatur berichtet wird. Dennoch war das Sammeln der Bachstelzen eines meiner schönsten Erlebnisse mit Vögeln.